Unterrichtsmaterial Ethik Glaubensvielfalt Theodizee in der Diskussion
Theodizee in der Diskussion
11. März 2011 – um viertel vor drei erschüttert eines der stärksten Erdbeben, das je gemessen wurde, die Küste Japans. Keine halbe Stunde später trifft eine mehr als zehn Meter hohe Wasserwalze auf die Küste Honshus – mit verheerenden Folgen. Über 6.500 Menschen sterben, tausende werden obdachlos. Wo war Gott? Wie kann er das zulassen? Mit dieser Frage sahen sich monotheistisch geprägte Weltanschauungen angesichts von Naturkatstrophen schon immer konfrontiert. Philosophisch virulent wurde sie im Zeitalter der Aufklärung. Heute wird die Theodizee-Debatte vor allem im Zusammenhang mit der in den Neurowissenschaften und dem Feuilleton aufgeworfenen Frage nach dem freien Willen geführt. Diese Unterrichtseinheit, erschienen in RAAbits Ethik/Philosophie, ist konzipiert für die gymnasiale Oberstufe. Ausgehend von aktuellen Naturkatastrophen, sensibilisiert sie die Lernenden für die klassische Theodizeedebatte im achtzehnten Jahrhundert, die Frage nach der Existenz Gottes und möglichen Gründen für dessen Nichteingreifen in das Weltgeschehen, die logische Unvereinbarkeit eines Glaubens an einen allmächtigen und allgütigen Schöpfergottes mit dem Leid in der Welt. Zwei Bilder, entstanden nach dem Tsunami in Südostasien 2004 und in Japan 2011, dienen als Einstieg in diese Unterrichtseinheit. Die zu Beginn der Stunde aufgeworfene Frage, ob man angesichts des Leides in der Welt an einen gütigen Gott glauben könne, dient einer ersten Orientierung darüber, wie sehr sich die Jugendlichen bereits mit dem Problem der Theodizee auseinander gesetzt haben. Ihre Überlegungen vertiefen sie in der Reflexion einer Predigt von Wolfgang Huber. Für ihn gibt die Flutkatastrophe nicht Anlass zum Zweifel an der Güte Gottes. Er wertet sie als unverständliche Herausforderung. Nach Wilhelm Gottfried Leibniz leben wir in der besten aller möglichen Welten. Die Welt ist gerade deshalb perfekt, weil sie alle Schattierungen von Gut und Böse enthält. Jedes Individuum, jeder Gegenstand in der Welt, jedes Ereignis, ist Teil eines übergeordneten Plans. Wie aber sieht es dann mit der Willensfreiheit des Menschen aus? Ist es sinnvoll, Teil eines übergeordneten Plans zu sein? Diese Widersprüche im Konzept von Leibniz, die schon Hegel kritisierte, werden hier erörtert. Voltaire antwortet Leibniz, beeinflusst durch das Erdbeben in Lissabon 1755. Ihm zufolge hat jedes Individuum einen Wert an sich. Maß aller Dinge ist der Mitmensch. Wer behauptet, die Welt sei die beste aller möglichen Welten, der ist, so Voltaire, ein Zyniker. Mit Kant endet das Jahrhundert der Theodizee. Theodizee, so Immanuel Kant, setzt die Erkenntnis des Willens Gottes voraus. Sie ist notwendig, um erklären zu können, dass die Dinge, von denen man annimmt, dass sie dem Willen Gottes entgegenlaufen, dies in Wahrheit gar nicht tun. Der Wille Gottes ist entweder durch Erfahrung, also doktrinal, oder unmittelbar zu erkennen. Die Erkenntnis durch Erfahrung scheidet in diesem Falle aus, weil menschliche Erfahrung nicht auf einen letzten Willen Gottes zu schließen vermag. Dieser ist moralisch und damit unabhängig von Erfahrung. Die authentische Erkenntnis Gottes hingegen ist vorhanden oder nicht. Hier sind keine philosophischen Bemühungen erlaubt. Hans Jonas fordert die Preisgabe der Allmacht Gottes, zum einen aus logischen Gründen, zum anderen aufgrund der Erfahrungen von Auschwitz. Macht, so seine Argumentation, ist immer eine relative Größe. Sie funktioniert nur in der Konfrontation mit etwas, dem man selbst wiederum Macht zuspricht. Allmacht aber duldet keine Teilung von Macht. Sie ist absolut. Damit erweist sich der Machtgedanke als in sich widersprüchlich. Das empirische Argument bezieht sich auf den Holocaust. Auschwitz ist für Hans Jonas mit dem Gedanken eines guten, allmächtigen und verstehbaren Gottes nicht vereinbar. Während in der Tradition Autoren wie Leibniz oder Kant deshalb die Verstehbarkeit Gottes um seiner Allmacht willen preisgaben, hält Jonas diese für den jüdischen Glauben für unverzichtbar. Verzichtbar ist für ihn hingegen der Gedanke der logisch in sich widersprüchlichen Allmacht. Nach Jonas leidet Gott an der Welt und entwickelt sich mit ihr. Diese Unterrichtseinheit abschließend werden die Phänomene Willensfreiheit und Theodizee miteinander verknüpft. Schon in der ersten Stunde zu Leibniz wurde erörtert, inwiefern Willensfreiheit ein notwendiger Bestandteil der bestmöglichen aller Welten ist. Interessant wird hier die provokante und nicht auf den ersten Blick einleuchtende Gegenargumentation Swinburnes. Ihm zufolge sind viele Übel vom Menschen selbst verursacht. Er trägt die Verantwortung für seine Taten. Wie aber steht es mit den Übeln, die nicht der Mensch zu verantworten hat? Diese sieht er als Herausforderung, etwas, woran der menschliche Wille sich abarbeiten und beweisen kann. Ein Text von Russell gibt den Lernenden im Rahmen der Lernerfolgskontrolle abschließend die Gelegenheit, Argumente von Leibniz, Voltaire und Kant zu bewerten.
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